Wie können Landwirte von neuen Technologien profitieren? Darüber sprachen Josef Schmidhuber, stellvertretender Direktor der Trade and Markets Division der FAO und Liam Condon, Leiter der Division Crop Science von Bayer.
Liam Condon Vor dreißig Jahren haben vermutlich
nur wenige Menschen vorhergesehen,
dass heute Landwirte in Florida mit Satellitenbildern
den Anbau von Zitruspflanzen überwachen.
Das ist nur ein Beispiel dafür, wie Digital Farming
Landwirten hilft, sich gegen widrige Wetterverhältnisse,
Herbizidresistenzen, Pflanzenkrankheiten
und sogar Marktveränderungen zu wappnen.
Ich freue mich über die Gelegenheit, mich
mit Ihnen darüber auszutauschen, wie der technische
Fortschritt in der Landwirtschaft das
Leben von Farmern weltweit vereinfachen kann.
Josef Schmidhuber Ja, wir müssen Wege
finden, die Landwirte bei der Bewältigung ihrer
Herausforderungen zu unterstützen. In einer aktuellen FAO-Studie haben wir ermittelt, dass
Landwirte im Jahr 2050 fast 50 Prozent mehr
Nahrung, Futter und Biotreibstoff erzeugen müssen
als 2012. Doch zum Wohle unseres Planeten
müssen wir dies auf eine umweltverträgliche
Art und Weise erreichen. Aus meiner Sicht ist
der technische Fortschritt ein Schlüsselfaktor für
landwirtschaftliche Nachhaltigkeit.
Liam Condon Das ist ein wichtiger Punkt. Bei
Bayer legen wir viel Wert auf Innovation und
technischen Fortschritt und gehen dabei über
die Entwicklung von Saatgut und Pflanzenschutz
hinaus. Mit Fortschritten in der digitalen
Landwirtschaft wollen wir Landwirten schnellere und genauere Mittel bieten, Pflanzen zu
überwachen und bessere Entscheidungen zu
treffen. Die Lösungen der Präzisionslandwirtschaft
erleichtern es Farmern, Informationen
zu sammeln. Dadurch soll jedes Feldareal
genau die Menge an Pflanzenschutzmittel
bekommen, die es benötigt. Gemeinsam mit
gesundem Pflanzenwachstum spart diese
Technik Ressourcen, was der Wirtschaftlichkeit
und auch der Umwelt zugutekommt.
Wir müssen die individuelle Situation von Landwirten berücksichtigen und Technologien auf ihre speziellen Bedürfnisse zuschneiden.
Josef Schmidhuber Der Bereich Robotik entwickelt
sich ebenfalls vielversprechend. In den
nächsten zehn bis 50 Jahren könnte sich Robotik
sehr stark in der Landwirtschaft verbreiten.
Einige dieser Anwendungen dürften nicht nur
auf den großflächigen Anbau beschränkt bleiben.
Roboter könnten Unkraut beseitigen oder
Früchte, Gemüse, Hopfen und Weintrauben
ernten. Doch die Herausforderung besteht
darin, sicherzustellen, dass die Welt und ganz
besonders Nahrungsmittel- und Landwirtschafts-Unternehmen
genügend in Forschung
und Entwicklung investieren.
Liam Condon Da stimme ich Ihnen zu. Es gibt
häufig einen Unterschied zwischen dem, was
der technische Fortschritt verspricht und der
Realität. Aber die Landwirtschaft wird durch
Technologie unglaublich gewinnen. Landwirte
müssen wissen, wie sie diese Technologien
einsetzen können, und ob die Mittel ihrem
Bedarf entsprechen. Dafür müssen wir die individuelle
Situation der Landwirte betrachten und
Technologien auf ihre speziellen Bedürfnisse
nutzerfreundlich zuschneiden.
Josef Schmidhuber Genau. Was auch bedeutet:
Wenn Präzisionslandwirtschaft bei einem
US-amerikanischen Erzeuger erfolgreich ist,
passt sie nicht automatisch auch zu einem afrikanischen
Kleinbauern südlich der Sahara.
Liam Condon Ja – wir müssen weniger kapitalintensive
Lösungen für Entwicklungsländer
finden. Doch die digitale Revolution wird auch
Kleinbauern helfen, selbst wenn sich die Konzepte
von denen in Industrienationen unterscheiden
werden.
Josef Schmidhuber Ein zentraler Punkt hierbei
ist die Tatsache, dass die Vorteile des technischen
Fortschritts von der Größe der Betriebe abhängig
sind. Großbetriebe sind in der Regel kapitalintensiver
und profitieren potentiell mehr von technologischen
Neuheiten als kleinere Betriebe.
Technologischer Fortschritt ist einer der wichtigsten Antriebsfaktoren für landwirtschaftlichen Erfolg.
Liam CondonDeshalb ist Kreativität gefragt
bei der Umsetzung von Technologien für alle
Landwirte. Und es kommt entscheidend darauf
an, erschwingliche Lösungen mit einem praktischen
Nutzen anzubieten.
Josef Schmidhuber Genau. Neue Technologien
verfügbar zu machen erfordert Investitionen
und Kreativität. Seit Kurzem gibt es eine neue
Möglichkeit, die Einkommenslücke zwischen
reichen und armen Ländern zu verkleinern. Ich
meine den Einsatz einer Technologie, die bisher
noch nicht im landwirtschaftlichen Mainstream
angekommen ist: die Blockchain-Technologie.
Blockchains sind bisher bekannt für Veränderungen,
die sie im Finanzsektor bewirkt haben. Das
bekannteste Beispiel für eine solche Anwendung
ist vermutlich die digitale Währung Bitcoin. Im
Grunde sind Blockchains gemeinsame digitale
Konten. In der Landwirtschaft könnten sie als
technische Grundlage dienen, um Transaktionen
zu erleichtern, Kosten für Geldüberweisungen zu
senken, den Warenverkehr entlang der Wertschöpfungskette
zu verfolgen oder Programme
für Nahrungssicherheit zu unterstützen.
Liam Condon Die FAO prüft also derzeit das
Potential dieser Technologie. Ich würde gerne
mehr darüber erfahren, wie sie sich in der Landwirtschaft
anwenden ließe.
Josef Schmidhuber Es gibt bereits erfolgreiche
Pilotprogramme für Katastersysteme, das sind
Verzeichnisse des Grundbesitzes eines Landes.
Schweden, Honduras, Georgien und Ghana
haben bereits auf Blockchains basierende Kataster
eingeführt. Der Güterhandel wird ebenfalls
bereits durch Blockchain-Technologie gestützt,
etwa der Verkauf von Weizen in Australien. Wir
werden unsere Ergebnisse veröffentlichen,
sobald die Auswertung abgeschlossen ist.
Liam Condon Auch bei der Pflanzenzucht bringen
landwirtschaftliche Technologien ökonomische
und ökologische Vorteile. Unsere Wissenschaftler
nutzen beispielsweise hochpräzise
Messwerkzeuge, um zu sehen, welche CropEfficiency-Produkte
positiv auf Testpflanzen wirken.
Schließlich können diese Messungen zu
verbesserten Pflanzensorten und höheren Erträgen führen. Bitte lassen Sie mich noch ein weiteres
Beispiel nennen: Wir bringen jährlich etwa 70
neue Gemüsesaatgutsorten auf den Markt – jede
davon bietet mindestens eine neue Eigenschaft,
die das Interesse ihrer Kunden weckt. BayerMathematiker
haben eine Software entwickelt,
die den Zuchtprozess stark vereinfachen kann.
Josef Schmidhuber Züchter in Industrieländern
nutzen bereits seit Längerem digitale Technologien,
um Zuchtzyklen zu verkürzen oder
Pflanzensorten an einzelne Regionen anzupassen.
Das führte zu geringeren Kosten für das
Testen und Weiterverfolgen der Ergebnisse von
Zuchtzyklen. Die Zuchtzyklen von Pflanzen in
Industrienationen sind normalerweise bis zu
fünfmal kürzer als in Afrika.
Liam Condon Das sind sehr vielversprechende
Entwicklungen. Moderne Technologie und verbesserter
Zugang zu Märkten hilft landwirtschaftlichen
Betrieben, zu wachsen. So können
sie die Erträge und die Qualität der Ernten auf
nachhaltige Weise steigern. Wir können damit
dazu beitragen, die Produktivitäts- und Einkommenslücke
zwischen Industrienationen und
Entwicklungsländern zu verkleinern.
Josef Schmidhuber Und es wird erwartet,
dass die Einkommen weiter steigen, der durchschnittliche
Verbrauch in Entwicklungsländern
sogar schneller als in Industrienationen. Aus
meiner Sicht wird sich die Lücke zwischen
Industrie- und Entwicklungsländern vermutlich
verkleinern, zumindest was Grundbedürfnisse
wie Nahrungsmittel und Ernährung betrifft.
Liam Condon Das ist eine Prognose, die wir
alle gerne hören und auf die wir hinarbeiten
müssen.
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